Une Touche à tout

Zum Werk von Ulla Nentwig

 

Von Michael Stoeber

 

Ulla Nentwig ist eine neugierige Künstlerin. Sie experimentiert gerne und probiert vieles aus.

In Deutschland, wo man die Spezialisten liebt, begegnet man dem nicht selten mit Misstrauen.

Ganz anders in Frankreich. Da nennt man eine solche Künstlerin eine Touche à tout, eine Allesanfasserin,

und begegnet ihr mit sehr viel Respekt. Da Nentwig der Vorbehalte müde ist, die manche Betrachter hierzulande ihrer Kunst entgegen bringen, hat sie ihrer Ausstellung im hannoverschen Regionshaus den ironischen Titel “Stringenz war gestern“ gegeben.

Wobei in ihm eine doppelte Ironie liegt, weil die Schau, auf die sich der Titel bezieht, stringenter, sprich logischer aufeinander bezogen, kaum sein könnte. Nentwig zeigt ausschließlich Zeichnungen und Malerei, eine geradezu klassische Verbindung. Allerdings agieren die beiden Medien, die andere Künstlern häufig formal und inhaltlich aufeinander beziehen, bei ihr eher gegen- als miteinander. Während Nentwigs Malerei farbig, opulent und erzählend ist, sind ihre Zeichnungen, minimalistisch, reduziert und schwarzweiß.

Formal ist ihre Malerei einfach, direkt und zupackend. Inhaltlich zeigt sie sich beeinflusst von Surrealismus und Traumdeutung, Märchen und Mythos. Es geht in ihren Bildern um Initiation und Identität, Macht und Ohnmacht, Erstarrung und Vitalität. Letztendlich um Befreiung und Ich-Werdung. Hinter den Opfergaben und Beschwörungen, Fragmentierungen und Behinderungen der Gemälde Nentwigs scheint eine Hoffnung auf, die Ernst Bloch unwiderstehlich mitreißend formuliert hat: „Ich bin, aber ich habe mich nicht, deshalb werden wir erst.“

 

Ursula Nentwigs Zeichnungen sind in ihrer formalen Vielfalt bestechend. Sie erzählen nicht, sondern wirken durch unterschiedliche Abstraktionen. Auch wenn sie in ihrer reduzierten Signatur an die amerikanische Minimal Art erinnern, sind sie weit entfernt von ihr. Gegen eine solche Nähe steht ganz eminent das geometrisch Verzogene wie gestisch Handschriftliche der Werke. Ihre Formen trumpfen nicht auf und wollen keine ultimativen ästhetischen Formen und Formeln sein, sondern eher Selbstbehauptungen, nicht selten am Rande des Verstummens.